Heute erzähle ich euch eine Geschichte, die sich vor einiger Zeit zugetragen hat. Im Oktober 2013 war es außergewöhnlich warm gewesen. Wir saßen auf unserer Veranda und tranken Kaffee. Der Wein, der vom Dach herab rankte, hüllte uns in seine wohltuende Ruhe und schirmte uns vom Rest der Welt ab. Auf einmal tauchten eine kleine Gruppe, ein Mann und drei Frauen, auf der Straße auf. Sie wirkten wie Touristen, die sich auf einem Spaziergang befanden. Eine der Frauen blickte zurück in Richtung unseres Lavendel- Hauses und begann zu fotografieren.

Ich dachte, na, das ist doch etwas frech, ohne zu fragen einfach so Bilder von einem Grundstück zu machen, vor allem, wenn die Besitzer direkt nebenan sitzen. Neugierig geworden ging ich zum Zaun, um mich zu erkundigen, worum es hier ging.

Es waren Deutsche. Die Frau, die die Fotos machte, war eine sehr alte Dame. Sie lächelte mich an und sagte etwas zu mir. Ich spreche kein Deutsch, also sagte ich zu ihr: „Nicht verstehen!” Als ich die leichte Enttäuschung auf ihren Gesichtern sah, fragte ich schnell: „Do you speak English?” Zu meiner Freude antwortete eine der jüngeren Frauen: „Yes, I do.”

Ein Haus, das es nicht mehr gibt

Zwischen uns entspann sich ein sehr angeregtes Gespräch. Ich erfuhr, dass hier vor dem Krieg das Haus der älteren Frau gestanden hatte. Sie zeigte uns Fotografien, auf denen ein großes solides Gebäude zu sehen war. Davor stand ein kleines Mädchen mit ihrer Mutter neben einem Zaun. Heute existieren von diesem Haus nur noch vereinzelte Steinhaufen, die von Gras überwuchert sind. Nur die Linde vor dem Haus steht noch. Auf dem Foto, das wir abscannen durften, sieht man den Baum ganz deutlich. Wie klein er damals war! Heute ist dieser Baum einer der größten in der ganzen Umgebung, und der größte unter den fünf Linden, die auf unserem Anwesen wachsen. Wir nennen ihn die Mama- Linde.

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Nur die Linde vor dem Haus steht heute noch

Was empfand die alte Frau, als sie den Ort ihrer Kindheit betrachtete? Das Mädchen, das mit iher Mutter vor dem Haus stand, war damals höchstens 3 Jahre alt gewesen. Heute, als 90- jährige Frau, spürte sie das Bedürfnis, diesen Ort noch einmal zu sehen- vielleicht zum letzen Mal? Es steckt etwas Trauriges darin. Ist es das Gefühl der Vergänglichkeit? Oder noch etwas anderes? Ich war sehr gerührt. Nach einem Moment jedoch fiel mir etwas ein. Ich erinnerte mich an den vergrabenen Schatz. Ja! Wir müssen ihr unbedingt den Schatz zeigen!

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Zwei Welten auf einem Foto

 

skarby_02Der Schatz

Im Frühling 2012, als der Bagger das Gelände für das Lavendel- Haus planierte, fanden wir eine metallene Dose von der Größe einer Schuhschachtel. Leider hatte der Bagger die Schatulle bereits zerstört. Im Innern fanden wir die Scherben eines porzellanenen Kaffeeservices. Einzig das Milchkännchen und zwei Deckelchen waren ganz geblieben.

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Aber wir fanden noch etwas anderes! Unter den Scherben lag ein unversehrtes winziges Puppenservice aus Porzellan, kleiner noch als ein Streichholz, einfach zauberhaft!

Als ich unseren deutschen Gästen von dem Fund erzählte, sagten sie, sie hätten die Familie gekannt, die direkt neben ihnen gewohnt hat, und die hätten ein kleines Mädchen gehabt. Leider lebe heute niemand mehr von ihnen.

Wie verworren sind menschliche Schicksale! Die Deutschen, die hier in Niederschlesien gelebt haben, wurden nach dem 2. Weltkrieg zwangsweise umgesiedelt. Manch einer von ihnen vergrub vor der Vertreibung einen Teil der Habe in der Hoffnung, eines Tages zurück kehren zu können. Ob auch das kleine Mädchen damals ihre Mutter gebeten hatte, ihr Lieblingsservice zu vergraben? Ihren geliebten Schatz? So gerne hätte ich dem kleinen Mädchen ihr Eigentum zurück gegeben. Schade, dass es nun zu spät dazu ist.

Das Tagebuch

Als es langsam Zeit wurde, Abschied zu nehmen, fiel uns noch etwas ein. Während der Renovierung unseres Hauses hatten wir unter den Dielenbrettern des Fußbodens ein altes vergilbtes Tagebuch, in schöner Sütterlinschrift geschrieben, gefunden. Wir hatten versucht, den Text zu übersetzen, doch selbst unsere Nachbarin, die gebürtige Deutsche ist, hatte Probleme damit, die Schrift zu entziffern. Wir hatten das Heft mittlerweile längst wieder vergessen, bis zu der Begegnung an jenem Oktobertag.

Als wir das Heft unseren Gästen zeigten, ereignete sich etwas Außergewöhnliches! Eine der Frauen stand plötzlich wie angewurzelt da und rief: „Das ist doch das Tagebuch meines Vaters! Hier stehen sein Vor- und Nachname!” Was nun folgte, ist schwer zu beschreiben. Freude, Gerührtheit und Tränen in den Augen. Das Tagebuch kam nach so vielen Jahren zurück zur Tochter, die uns dann mehrere Jahre lang Grüße und Weihnachtspäckchen schickte. Wir erwiderten ihre Grüße mit Andenken aus unserem Lavendel- Haus. Später riss der Kontakt ab, jedoch die Erinnerungen dieser ungewöhnlichen Begegnung bleiben für immer in uns.

Nie wiem jak Wy, ale ja ciągle widzę ten dom ...

Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich sehe dieses Haus immer noch…

~The end~

ACKNOWLEDGMENT: I would like to express my thanks to my dearest friend Rita Schäper for translating this story into German

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